Texte von euch

Gruseliges und Märchenhaftes von Helene

Ab und zu bekommen wir in der LUX-Redaktion besondere Post: Post von euch, unseren LUX-Leserinnen und Lesern. Darüber freuen wir uns immer sehr.

Vor Kurzem haben uns in der Post zwei Geschichten von Helene erreicht, einer unserer Leserinnen. Weil beide Texte so toll sind, haben wir beschlossen, sie hier zu veröffentlichen. Viel Spaß beim Lesen! Und dir, liebe Helene, wünschen wir weiterhin viel Freude beim Schreiben!

Helene hat uns zwei ihrer tollen Geschichten geschickt.
Helene hat uns zwei ihrer tollen Geschichten geschickt.
In der ersten Geschichte geht's um ein abgebranntes Gruselschloss ...
In der ersten Geschichte geht's um ein abgebranntes Gruselschloss ...

Das abgebrannte Gruselschloss

„Sophia! Wo bleibst du?“, rief Felix. Ich sah vom Boden auf. Felix murrte: „Mach schon, wir sind beinahe zu spät!“ Ich blickte wieder auf den Boden und grummelte: „Wir sind sowieso zu spät.“ Wegen einer Baustelle auf unserem eigentlichen Schulweg mussten wir einen Umweg durch die Eichenallee nehmen.

Ich bin schon oft in der Eichenallee gewesen, letztens, erst gestern. Ich genoss die Herbstluft hier sehr. Felix eher weniger. Er wirbelte gelangweilt ein paar Blätter auf. „Langweilig, langweilig, langweilig“, ärgerte er sich. „Langweilige Eichen, alte Leute, ein abgebranntes Haus …“ Was? Abgebrannt? Ich sah mich um. Tatsächlich! Direkt vor mir lag ein großes, verkohltes Haus. Es sah aus wie eine Burg in einem Gruselfilm. Sein Tor stand weit offen und erinnerte an ein riesiges, weit aufgerissenes Maul.

Ich stammelte und wisperte: „Aber … das kann nicht sein!“ Gestern war das Haus noch völlig unversehrt. Ich habe sogar eine alte Frau im Garten gesehen! „Was ist los?“, flüsterte Felix. Ich erzählte ihm alles haargenau, doch er blieb ganz ruhig. „Du weißt ja, wie es ist“, gähnte er gelassen. „Einmal den Herd angelassen und schon brennt die ganze Bude!“ Er hatte recht. Nein! Doch nicht! Irgendwas stimmte hier nicht! Ich hatte so ein Gefühl … „Ich gehe rein!“, sagte ich fest entschlossen. Ich hörte förmlich, wie Felix` Unterkiefer herunterklappte. „W-w-was!?“, stotterte er. Ich tat so, als würde ich ihn nicht hören und ging auf das Haus zu.

Behutsam öffnete ich die rostige Gartentür, die bei jedem Windhauch quietschte. Mich schauderte es. Der Garten war ganz schwarz und verkohlt. Statt Gras waren da nur rußige, strauchige Bündel. Der Boden rauchte immer noch. Sehr merkwürdig. Felix schlich vorsichtig hinter mir her. „G…g…glaubst du, es gibt hier Geister?“, wisperte er. Seine Stimme zitterte. Ich sagte nichts, sondern ging durch das offene Tor. Felix folgte mir. Die Vorhalle war voller Spinnweben und Ruß. Auf der Wand gegenüber der Tür hing ein altes, aber gut erhaltenes Ölgemälde einer alten Frau. Ich sah es mir genauer an und murmelte: „Das ist die Frau, die ich im Garten gesehen habe.“ Gruselig! Neben dem Ölgemälde standen viele, lange Speere. Die Spitzen waren aus Stein, Metall und Elfenbein und aufwendig verziert. Felix betrachtete die Speere genau, während ich in den nächsten Raum gehen wollte.

Auf einmal hörten wir ein unheimliches Kreischen und Jammern, das von dem Knistern und Knacken eines Brandes begleitet wurde. Mir war das Ganze nicht mehr geheuer. Ich wollte hier raus! Doch gerade, als ich mich umdrehen und weglaufen wollte, packte etwas Kaltes meine Hand. Ich schrie und wirbelte herum. Direkt vor mir schwebte eine bleiche, alte Geisterfrau mit milchigen Augen und stöhnte. Ich schrie nochmal und versuchte mich loszureißen. „Felix! Tu doch etwas!“ Und tatsächlich: Felix griff nach einem der Speere und warf ihn auf die Geisterfrau zu. Aber kurz bevor der Speer sie traf, löste sie sich in Luft auf. Felix schnappte mich an meiner Hand und rannte los. Ich lief einfach mit.

Draußen liefen wir fast in einen alten Mann. „Entschuldigung“, nuschelte ich. „Also wirklich“, brummte er. „Ihr habt da nichts zu suchen! Das Haus ist seit 50 Jahren abgebrannt und außerdem einsturzgefährdet!“ Felix sah mich verwundert an. „Wenn das Haus seit fünfzig Jahren abgebrannt ist“, stellte er fest, „wie konntest du dann …?“ Das verstand ich auch nicht. Mir lief es immer noch eiskalt über den Rücken, wenn ich nur an das Haus dachte!

Ich drehte mich noch einmal um, aber das Haus hatte sich verändert! Es waren nur noch einzelne Steine übrig und im Garten war schon eine Menge Gras gewachsen. Dennoch dachte ich nicht mehr darüber nach. Ich nahm Felix am Arm und zog ihn den Weg weiter. Das eigentlich Mysteriöseste passierte, als wir die Eichenallee verließen. Dort war das Kreischen und Knistern noch einmal zu hören. Aber diesmal klang es nicht leidend, sondern hämisch und schadenfroh.

"Es war einmal eine arme Müllerfamilie..." So beginnt das Märchen, das Helene geschrieben hat.
"Es war einmal eine arme Müllerfamilie..." So beginnt das Märchen, das Helene geschrieben hat.

Der Zwerg auf der Kräuterwiese

Es war einmal eine arme Müllerfamilie. Eines Tages wurde die Mutter schwer krank und starb innerhalb kürzester Zeit. Alsbald wurde auch der Vater von Tag zu Tag schwächer und sein einziger Sohn sorgte sich sehr um ihn.

Eines Morgens sagte der Vater mit kraftloser Stimme zu ihm: „Geh bitte in den Wald und hole heilende Kräuter von der magischen Lichtung in der Mitte des Waldes. Ich möchte mir aus ihnen einen Tee zubereiten.“ Sogleich machte sich der Müllerssohn auf den Weg in den finsteren Zauberwald. Der Fußmarsch dorthin war sehr beschwerlich und gefährlich, weil der Weg sehr steinig war. Nach einiger Zeit wurde es dunkel und der erschöpfte Junge sah nicht mehr, wo er weitergehen musste.

Auf einmal blendete ihn ein grelles Licht, sodass er erschrak und seine Augen schließen musste. Er begann am ganzen Körper zu zittern, doch seine Angst hielt ihn nicht davon ab, dem hellen Schein zu folgen. Als sich der tapfere Müllerssohn umsah, erblickte er im düsteren Wald zwischen den schwarzen Eichenbäumen die leuchtenden Heilkräuter. Der Jüngling bückte sich, um die Pflanzen zu pflücken. Plötzlich lief ein kleiner Mann daher und schrie lauthals: „Halt! Fass sie ja nicht an!“ Der Müllerssohn erhob sich und fragte: „Wer bist du, kleines Männchen?“

Der kleine Wicht riss die Augen weit auf. Sein Gesicht lief rot an. „Männchen!?“, brüllte er. „Ich bin ein Zwerg! Und das sind meine Kräuter!“ Der Zwerg sprang auf einen Stein, beugte sich zu dem Jungen hinunter und drohte ihm: „Wenn du auch nur in die Nähe meiner Pflanzen kommst, dann verwandle ich dich in eine Kröte!“ „Nun, verehrter Zwerg“, erwiderte der junge Mann, „mein Vater ist krank und ich brauche ein paar von deinen Pflanzen, um …“ Weiter ließ ihn der Zwerg nicht kommen. „So, meine Pflanzen willst du!?“ Der Wicht sprang vom Stein und kratzte sich nachdenklich an seinem Bart. Nach gefühlten Stunden meinte der Zwerg: „Wenn du die Kräuter haben willst, so bringe mir alles Gold aus diesem Land.“

Der Müllerssohn rührte sich nicht. Er war entsetzt über den Willen des Zwerges. „Wo soll ich, armer Bursche, so viel Gold hernehmen?“, überlegte der Junge verzweifelt. Der böse Wicht sah den Blick des Jünglings und beruhigte ihn: „Ich biete dir meine Hilfe an. Du musst nur dreimal mit der Zunge schnalzen und schon schicke ich dir eine gute Fee. Wenn du deinen Wunsch aussprichst, wird die Gute ihn dir erfüllen. Das klappt allerdings nur ein einziges Mal.“ Der junge Mann bedankte sich und machte sich auf den Weg.

Als er aus dem finsteren Wald kam, dachte er nach. „Ich weiß nicht … Ich könnte mir das ganze Gold wünschen, aber dann würden alle Menschen im Land leiden. Was soll ich mir wünschen?“ Kurzerhand blieb der Müllerssohn stehen und schnalzte dreimal mit der Zunge. Schon erschien eine kleine Frau mit Flügeln und reimte: „Eins und zwei und drei und vier, schon ist die Fee aus dem Zauberwald hier! Sag nur deinen Wunsch, du wirst es nicht bereuen, dann wirst du dich ewig am Glück erfreuen!“ „Ach“, rief der Müllerssohn, „ich will doch nur, dass mein Vater gesund wird!“ Plötzlich fiel es dem Jungen ein: „Ich brauche mir weder alles Gold noch die Kräuter zu wünschen! Ich wünsche mir, dass mein Vater gesund wird!“ „Deinen Wunsch werde ich erfüllen“, antwortete die Fee. Der junge Mann eilte nach Hause. Seinen Vater fand er gesund und munter vor. Der Zwerg allerdings ärgerte sich, weil er so dumm gewesen war. Und wenn er nicht gestorben ist, dann ärgert er sich noch heute.